Interview zum Weltfrauentag mit Julia Kögler, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Northeim

Am 8. März ist zum 111. Mal Weltfrauentag: Woran denkst du bei diesem Stichwort als erstes?


Dass es sehr schade ist, dass wir nach über einem Jahrhundert immer noch keine Gleichberechtigung erreicht haben. Vor allem, dass wir nach über 100 Jahren Frauenwahlrecht immer noch keine Parität erreicht haben – schlimmer noch – Gesetze wieder gekippt werden, die eine gleichberechtigte politische Partizipation zum Ziel haben. Mich macht das traurig und wütend, weil wir uns oft im Kreis drehen oder auf der Stelle bewegen bei gleichstellungsrelevanten Themen, die oft als „Frauenthemen“ abgetan werden. Es fehlt oft die Einsicht, dass es sich um gesamtgesellschaftliche Probleme handelt, die nur zusammen gelöst werden können.

 

Hast du persönlich schon Meilensteine in der Geschichte der Frauen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung miterlebt?


Ein großer, wichtiger, längst überfälliger Schritt war die Ratifizierung der Istanbul-Konvention 2018. Sie ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Der völkerrechtliche Vertrag definiert Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung und als Zeichen der Ungleichstellung von Frauen und Männern. Seit Februar 2018 ist die Konvention in Deutschland geltendes Recht und gibt starke Impulse für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf allen staatlichen Ebenen.


Leider hapert es jedoch an der praktischen Umsetzung. Bund und Länder stellen den Kommunen zu wenig finanzielle Ressourcen zur Verfügung und schieben es in die „Öffentliche Daseinsvorsorge“. Auch hier braucht es die Anerkennung als gesamtgesellschaftliches Problem. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe im Jahr 1997 war vor meiner Zeit als Gleichstellungsbeauftragte, jedoch ein wichtiger Schritt und ein wichtiges Signal. 
2005 dann der Beginn der Ära Merkel: Wir haben endlich eine Bundeskanzlerin. Erst einmal musste man sich daran gewöhnen, dass „ein Mann“ nun Bundeskanzlerin ist. Kann er das überhaupt?


Und nun warten wir – nicht nur die Gleichstellungsbeauftragten – gespannt darauf, ob die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages zügig umgesetzt werden (z.B. die längst überfällige Abschaffung des § 219a StGB „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“). Elternzeit, Elterngeld, die #metoo Debatte oder die Frauenquote in Führungspositionen: das sehe ich alles als wichtige Schritte hin zur Gleichberechtigung.

Wo stehen wir mit den Rechten von Frauen deiner Meinung nach heute? Was liegt noch vor uns?

 

Verschiedene Expert:innen schätzen, dass wir noch round about 200 Jahre bis zur Gleichberechtigung brauchen, wenn wir in dem Tempo wie bisher weitermachen. Das befürchte ich auch! Da wir nicht nur kleine Fortschritte machen, sondern in vielen Bereichen Roll-Backs (also Rückschritte) erleben. Z.B. im Bereich der politischen Partizipation: in manchen Gremium stagnieren die Zahlen weiblicher Abgeordneter nicht nur, sie gehen zurück – oft hängt das mit der Parteizugehörigkeit zusammen. 


Selbst die Fälle von häuslicher Gewalt steigen kontinuierlich an – und der Aufschrei verebbt meist nach dem 25. November (dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen) wieder. Es wird immer noch nicht von allen erkannt, dass dies kein Frauenproblem ist, sondern ein gesamt-gesellschaftliches Problem. Es fehlt häufig die finanzielle Ausgestaltung vom Land und Bund. Frauen verdienen immer noch weniger Geld, sie bekommen deutlich weniger Rente als Männer und übernehmen immer noch 1,5 mehr unbezahlte Care- und Hausarbeit. Da muss sich noch einiges bewegen, damit wir wirklich gleichberechtigt sind.

 

Es wäre schön, wenn wir Gleichstellungsbeauftragten nicht immer wieder die gleichen Themen über Jahre hinweg bearbeiten müssten. Ich wünsche mir, dass Männer die Gleichberechtigung genauso forcieren wie Frauen. Die Hälfte der Macht – so einfach könnte  das sein. Vor allem wünsche ich mir, dass unsere Töchter keine Angst haben müssten, nachts allein auf der Straße unterwegs zu sein.

 

 

Julia Kögler lebt mit ihrer Familie in Hildesheim. Sie ist seit 2018 als Gleichstellungsbeauftragte tätig und wechselte im Januar 2020 zum Landkreis Northeim. Sie studierte Philosophie, Politikwissenschaften, Medienwissenschaften und Literaturwissenschaft. 

Bezogen auf Südniedersachsen: Welche Themen planst du für unsere Region? Welche Wünsche hast du – vielleicht auch an unsere BusinessWomen Empowerment-Plattform?

 

Der Arbeitskreis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Northeim wird weiterhin das Bündnis „Politik braucht Frauen!“ durch verschiedene Veranstaltungen vorantreiben. In der Politik werden die Beschlüsse gefasst, die Einfluss auf unser Leben und eben auch auf die Gleichstellung haben. Deswegen braucht es paritätisch besetzte Räte und Gremien. 
Dieses Jahr liegen der Equal Pay Day und der Internationale Frauentag direkt nacheinander. Deswegen wird es vom 07.-11. März 2022 die Northeimer Frauenwoche geben: Kino, Yoga, ein Vortrag zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf und weiteres spannendes Programm wird angeboten. Außerdem arbeite ich eng mit der Koordinierungsstelle Frauen und Wirtschaft im Landkreis Northeim zusammen. Die Themen Frauen und Finanzieren sowie Frauen und Führung wird uns 2022 begleiten. 


Zusätzlich wird das Gewaltschutzgesetz 20 Jahre jung und das Netzwerk Runder Tisch gegen häusliche Gewalt plant unterschiedliche Aktionen für dieses Jahr. 


Mein abschließender Wunsch wäre: Frauen, vernetzt euch! Tauscht euch aus, unterstützt euch und nehmt das Zepter selbst in die Hand. 

 

Vielen herzlichen Dank!