"Für den Aufstieg braucht es das passende System" - Interview mit Landrätin Astrid Klinkert-Kittel

Können Sie sich an einen Schlüsselmoment erinnern? Was waren Ihre persönlichen Gründe, als Frau in Führung zu gehen?

 

Ich habe von 2000 bis 2003 ein BWL-Abendstudium an der VWA Göttingen gemacht, welches viel zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen hat und auch dazu führte einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Daraufhin habe ich für mich Bilanz gezogen: Ich habe zwei Studien absolviert und habe verschiedene Bereiche in Verwaltungen kennengelernt... Was mache ich damit? Mir ist schnell klar geworden, dass ich gerne in einer Position arbeiten wollte, in der ich Dinge mitgestalten, verändern und anders machen kann. Denn gerade dieser „Wille zu Gestalten“ ist etwas, was in der Verwaltung häufig zu kurz kommt. Ich sehe Verwaltung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und nicht als starres Gebilde, in welchem Abläufe einzuhalten sind.

 

Aus diesem Antrieb heraus habe ich nach dem Abendstudium meinen Hut für mehr Verantwortung und Führung in den Ring geworfen. 2004 bekam ich vom damaligen Landrat des Landkreises Northeim das Angebot, seine persönliche Referentin zu werden. Parallel hatte ich mich in Nörten-Hardenberg als Kämmerin und allgemeine Vertreterin des Bürgermeisters beworben, wohin ich 2004 dann schließlich auch gewechselt bin. Dort hatte ich mit der Verantwortung der Kämmerei auf der einen Seite und der Vertretung des Bürgermeisters auf der anderen Seite die optimalen Bedingungen, um in die neuen Führungsaufgaben hinein zu wachsen. Der Bürgermeister hat mir die Möglichkeiten und den Freiraum gegeben, Dinge zu gestalten und in neue Bahnen zu lenken. Ich konnte mich jederzeit mit ihm abstimmen und er hat mir stets den Rücken für neue Schritte gestärkt. In dieser Zeit habe ich insbesondere für meinen persönlichen Reifeprozess viele wichtige Erfahrungen sammeln können.

 

Ich vergleiche es ein wenig mit dem Ableger eines Baumes, der im Schatten heranwachsen kann, bevor er selbst ins Licht tritt und groß wird.

 

Konnten Sie sich an diesem Vorbild etwas abgucken?

 

Es ist ganz wichtig, gute Führungskräfte als Vorbild zu haben. Was ich bei meinen Vorgesetzten miterleben durfte und nun auch selbst als Führungskraft umsetze, das sind Empathie und Menschlichkeit. Ich glaube, dass beides in der Berufswelt häufig zu kurz kommt. Doch die wichtigste Ressource, die wir letztendlich haben, ist der Mensch. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, hier in der Kreisverwaltung Prozesse in Gang zu setzten und zu ändern, um den Mitarbeitenden angenehme Arbeitsbedingungen und ein gutes Arbeitsklima zu schaffen.

 

Die wichtigste Ressource, die wir letztendlich haben, ist der Mensch.

 

Zudem war mir schon immer der persönliche Kontakt zu Menschen wichtig und so eben auch zu meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Haus. Da die aktuelle Situation es mir derzeit leider erschwert mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persönlich zu sprechen, führe ich derzeit mit jedem Fachbereich digitale Gespräche per Videokonferenz. Hierbei erfrage ich, wie es den Menschen in den letzten zwei Jahren ergangen ist, was gut geklappt hat, wo sie Verbesserungspotenziale sehen und welche Wünsche sie an mich haben. Genau dieser Austausch ist mir im Haus wichtig, aber natürlich auch mit den Bürgerinnen und Bürgern, wenn ich in Repräsentation unterwegs bin.

 

Warum ist es als Frau immer noch besonders und teilweise schwieriger, im Top Management sowie in der Politik Fuß zu fassen?

 

Meines Erachtens brauchen Frauen andere Strukturen und andere Rahmenbedingungen, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik schaffen zu können. Der zeitliche Aspekt, um allen Aufgaben gerecht werden zu können, ist sicher ein wichtiger Faktor, welcher vermutlich viele Frauen abschreckt. Zudem spielen insbesondere in der Politik auch Themen wie Macht und das „Gehört werden“ eine wichtige Rolle. Hier ist es wichtig ein Netzwerk und Kontakte zu haben, auf die man sich verlassen kann.

 

Mein Amt als Bürgermeisterin in Nörten-Hardenberg habe ich damals 2011 als „Parteilose“ mit der Unterstützung aller Parteien erreicht. Mit dem Amt als Landrätin ist es unheimlich wertvoll, Menschen zu haben, von denen man unterstützt wird und Netzwerke auf die man aufbauen und zurückgreifen kann.

 

In der Zeit meiner Kandidatur ist mir noch einmal deutlich geworden, wie männlich orientiert die Strukturen in der Politik funktionieren. Parteiabende finden zu Zeiten statt, in denen Mütter z.B. ihre Kinder ins Bett bringen. Dennoch immer sind Kinder, Familie und Haushalt vorrangig Themen der Frauen. Ebenso wäre es wichtig, dass politische Arbeit auch in Unternehmen präsenter sein sollte und dafür sensibilisiert wird. Um wirklich demokratische Prinzipien zu leben, wären großzügige Freistellungsmöglichkeiten für politische Arbeit in der Arbeitswelt hilfreich. Denn letztlich brauchen wir auch dafür Zeit!

 

Wenn wir auch junge Frauen und Frauen mittleren Alters für die Politik gewinnen wollen, benötigen wir Strukturen, die es ihnen ermöglichen, solche gesellschaftlich relevanten Aktivitäten zu verfolgen.

 

Was haben Sie geändert, um in die politischen Strukturen hinein zu wachsen? Spielen Sie Golf?

 

Nein, Golf spiele ich tatsächlich nicht. Ich habe mir ein kleines Netzwerk mit anderen Frauen in politischen und wirtschaftlichen Ämtern geschaffen, in welchem wir uns regelmäßig austauschen, persönlich treffen und untereinander über wichtige Themen informieren. In diesem Kreis kann man auch mal Problemstellungen ansprechen, diskutieren und querdenken. Dieser Austausch ist mir zum einen persönlich sehr wichtig und zum anderen ist es natürlich auch wichtig, dass wir Frauen uns gegenseitig unterstützen.

 

 

Warum sollten Ihrer Meinung nach Frauen in Betrieben, in der Politik, in der Gesellschaft gleichermaßen mitreden und mitbestimmen?

 

Frauen denken anders, haben andere Schwerpunkte, andere Erfahrungen und ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir alle Gruppen, alle Altersstufen, alle Geschlechter mit einbeziehen, um unterschiedliche Ansichten und Erlebnisse mitzunehmen. Und genau diese verschieden Blickwinkel oder Fragestellungen sollten geäußert werden können ohne Furcht davor, dafür verurteilt oder kritisiert zu werden. Es ist wichtig Fragen zu stellen. Es sollten generell mehr Fragen gestellt werden.

 

Ich halte es für eine Gesellschaft unverzichtbar, dass alle Bereiche gleichermaßen beteiligt werden. Ich bin eine Freundin von Diversität. Jeder Mensch ist auf seine eigene Art wertvoll für politische Entscheidungen.

 

 

Wie  können in Ihren Augen Männer die Hemmungen von Frauen senken, politische und/oder führungsrelevante Ämter anzustreben?

 

Gute Unterstützung ist immer wichtig! Ich persönlich hatte immer gute Männer in Führung, die mich gefördert und unterstützt haben. Ich glaube, wenn Männer in Führung Frauen ermutigen „Mach das!“, „Trau dich!“, „Ich unterstütze dich!“, dass das einen wesentlichen Hebel ausmacht, damit Frauen, die grundsätzlich den Willen mitbringen, in Führung und Verantwortung gehen.

 

Ein gutes System braucht es um den Menschen, der aufsteigen will.

 

Ich freue mich sehr darüber, dass sich hier bei uns in der Verwaltung immer mehr Frauen in Führungspositionen wiederfinden. In den letzten fünf Jahren haben wir deutlich zugelegt, so dass wir heute auf der Dezernats- und Referats-Ebene – das sind drei Dezernatsposten und zwei Referatsposten – zwei Frauen und vier Männer haben. Mit mir sind es insgesamt sieben, drei Frauen und  vier Männer. Bei den Fachbereichs- und Referatsleitungen nähern wir uns langsam dem 50 Prozent Frauenanteil an.

 

Was glauben Sie aus dem Bauch heraus, wie lange brauchen wir noch, um hier bei uns einen fairen Frauenanteil zu leben?

 

Ich glaube, dass sich das in den nächsten zehn Jahren relativieren wird und dass wir dann bessere Strukturen in Deutschland haben werden.

 

 

Was können wir Ihrer Meinung nach hier tun, um jungen Frauen eine bessere Basis für ihren beruflichen und persönlichen Aufstieg zu schaffen?

 

Wir brauchen gute Umfeldbedingungen, das heißt ordentliche Angebote als Arbeitgeber. In den Gesprächen die ich derzeit mit meinen Mitarbeiter*innen führe höre ich immer wieder, dass Frauen sagen: „Ich bin froh, dass ich mobiles Arbeiten im Homeoffice machen kann.“ Die Mitarbeiter*innen haben die Möglichkeit sich ihre Zeit flexibel einzuteilen. Solange vorrangig Frauen die Kinderbetreuungspflichten übernehmen, brauchen gerade sie unterstützende Strukturen. Ein weiteres unterstützendes Angebot welches wir vor  drei Jahren geschaffen haben, ist eine eigene Sommerferienbetreuung, welche für vier Wochen in den Ferien, für die Kinder von Mitarbeitenden des Landkreises Northeim zur Verfügung steht.

 

 

Wünschen Sie sich etwas von einer ausgelagerten Initiative wie der BusinessWomen Empowerment, was übergeordnet für Südniedersachsen stattfinden könnte?

 

Jede Initiative ist wichtig, um immer wieder daran zu erinnern und auch presse-/medienwirksam darzustellen, welche Chancen für Frauen bestehen. Ein tolles Format, welches unsere Gleichstellungsbeauftragte Julia Kögler zusammen mit den anderen Gleichstellungsstellen im Landkreis vor kurzem ins Leben gerufen hat, heißt „How to klüngel“ und richtet sich an Frauen, die sich für politische Aktivitäten interessieren. Es soll wiederholt im Online-Format stattfinden und die Möglichkeit zum aktiven Austausch untereinander bieten, sowie dazu, bestehende Netzwerke zu festigen und neue Kontakte und Verbindungen zu knüpfen.

Welche Rolle spielen Netzwerke und gegenseitige Unterstützung in Ihren Augen?

 

Die Kontaktpflege und das Netzwerken spielen eine wichtige Rolle, die man nicht unterschätzten sollte. Gerade deshalb ist es  besonders wichtig, dass wir Frauen uns gegenseitig unterstützten. Mit der Koordinierungsstelle Frauen und Wirtschaft sowie über die Gleichstellungstellen haben wir z. B. bereits gute Netzwerke über welche sich Frauen vernetzen und austauschen können. Am Ende ist es immer eine Mischung aus persönlichen Vertrauensnetzwerken und beruflichen Netzwerken. Es lebt alles vom persönlichen Kontakt.


Beenden Sie bitte meinen Satz: Frauen sollten in Führung gehen, weil…

...die Ideen und Impulse der Frauen dringend gebraucht werden.


Vielen herzlichen Dank, Frau Klinkert-Kittel.